Film 3: Vortragsstück für einen Pultredner
In einer Abdeckerei hackt ein Mann Vorder- und Hinterläufe eines Pferdes ab. Das wäre eine geballte Filmszene, meine Dame und mein Herr. Es beginnt anders. So: Die Sonne geht unter über dem Goldenen Horn. Das ist der ganze Film, verehrtes Publikum! Der Vortragende sagt dann noch, dass es im Mai war, mit siebzehn habe er … Er beginnt am Pult zu träumen. Und im Publikum sitzen Katzen. Es ist heiß und trocken. Später regnet es. Ein Mann lehnt aus dem türkisen Fenster und unterhält sich mit einem Nummernschild gegenüber. Der Vortragende erzählt vom Krüppel, dessen zehn Finger nur zwei Zentimeter gewachsen waren und der an einer Brücke lehnte, seine Hände öffnete und schloss, gegen die Sonne blickend und stumm. Seine Augenlider verbrannten grün. Ich habe Vorfahren in anderen Büchern. Mein Vater sagte einmal, dass die Wolken Steine sind und fürchtete sich stets vor dem Regen. Er liebte meine Mutter sehr. Er versteckte ihr kleine Zettel im Haus, bevor er in die Arbeit ging, auf denen nur eines stand. An Händen und Füßen hatte dieser abgehatschte Schuhe und kroch durch die Straßen. Andere Geräusche.
Ein Mädchen steht vor einem Plakat mit der übergroßen, halbnackten Frau, die eine Melonenscheibe isst und sich die Finger ableckt. Das Mädchen sagt etwas, doch Wörter und Mundbewegung stimmen nicht überein.
Freimann
Am Bahnsteig in Freimann sahen wir, die hinter automatischen Türen bald verschwanden, der alten Frau mit den Schlangenbeinen zu, wie sie sich abmühte, ans andere Ende zum Ausgang zu gelangen. Als hätte sie keine Augen gehabt, sah ihr niemand ins Gesicht, und die Schlangen bewegten sich ungerührt vom vielen Spott, der über die Alte fiel, gegen ihren Willen über das Pflaster. Ich habe sie am Nachmittag besucht, sie wohnt in der verfallenen Gegend unserer Stadt. Sie schließt die Fenster vor der Sonne, öffnet die Augen und kehrt verlassen in ihre Erinnerungen heim.
Filme || @ Bernhard Karlstetter