DEXX → Schausteller

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Nach der Arbeit blieb ich gerne in der Stadt und setzte mich, wenn das Wetter es zuließ, auf die Stühle auf dem Marienplatz. Oft stehen Leute in einem bedeutungsvollen Bannkreis um einen Schausteller. Ich habe einmal zugesehen als ein Pantomime, eine Living Doll, in blauem hautanliegenden auch über das Gesicht gezogenen Overall, mit oranger Brille und Bowlerhut, sich langsam in seinem Bannkreis bewegte, mit abrupten Gesten, nachwippenden Armen und steifem Oberkörper. Fasziniert und erstaunt sahen die Leute zu. Neben mir schüttelte ein rotwangiger Herr sich langsam entfernend den Kopf.

»Was sagt Ihnen das?«, fragte ich ihn verständnislos und sah ihm tief in die Augen.

»Ja mei, narrisch is’s hoid!« Dann nahm er seine Tüten fester in die Hand. Die Tochter hat ein Kind bekommen, dachte ich. Meine Menschenkenntnis bestürzte mich, ich war überrascht von mir selbst – ich brauchte nur auf Tüten voller Windeln sehen und schon ahnte ich das Glück, mit dem das Leben sich feiert.

Wozu brauchte es die Automatenpantomime, wenn sie nur ›narrisch‹ war, dachte ich, mehr sein konnte? Für die sensibleren Einkäufer unter uns ist das längst eine aufdringliche Wahrheit zu sagen: »Des is a Kunst, sowas, des muaß ma kenna!« So geht mein Herr von einer Show zur nächsten und nimmt alles auf, was Kunst ist, lässt es am Ort des Geschehens wohlweislich zurück, als speziell unantastbaren Sondermüll.

Seither sind Schausteller für mich blaue Pantomimen. Stehe ich vor einer Ansammlung von Menschen vereint in einem Kreis, denke ich mir die Begeisterung und sehe einen blauen Automaten wacklige Bewegungen ausführen.

»Narrisch is es«, sage ich mir, und suche mir wieder einen Stuhl, um mich auszuruhen vom Ungewohnten – manchmal muss man länger gehen – zu bestimmten Zeiten ist der Kaufstress so hoch, dass es mehr Erholungsuchende als Stühle gibt.

Dann tut eine Leberkässemmel, die ich wartend verzehre, ihre Dienste – und ich setze mich erst wieder, wenn ich den Geschmack vergessen habe, denn wer weiß, was ich wieder alles gegessen habe. Ich lerne: Rund um die Plätze, wo viele Menschen sich versammeln, gibt es keine gute Leberkässemmeln, auch wenn ich bereit bin, einen Aufpreis in Form eines Sonderopfers für guten Geschmack zu zahlen. Ich muss es hinnehmen.

Oktober 1992

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Schausteller || @ Bernhard Karlstetter