Geisterspazier → Altöttinger

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Alle, die denken, alles habe seinen Weg und seinen Gang, finden sich in Sackgassen wieder, behaupte ich aus dem Stegreifen, der um mich schwingt, und graben dort an Mauern kleine Löcher weiter, die sie zum vorbestimmten Weg erklären. Kaum einer will zurückgehen und seinen spirituellen Weg für engstirnig oder gar blödsinnig erklären; keiner will in die Steinzeit zurück, in der er den politischen Gegner sieht.

Ich darf das schreiben, und viel mehr noch: Ich komme aus Altötting. Ich trage das Stigma, das ab und an in Zeitungen hervorgehoben wird, wenn’s Engstirnigkeit zu beklagen angesagt ist und katholische Verbohrtheit. Ich trage die enge Stirn über den vom Alter gerunzelten Brauen: Er verschweige solche Altöttinger Herkunft verschämt, sagte ein Autor in einem Interview – gebürtiger Altöttinger. Er schrieb seine Autobiografie über den geschmähten und gerne von Magazinen und Zeitungen zitierten katholischen Wallfahrtsort, in dem die Leute »bigott« lebten; sie besorgte viel Aufregung, Auflagen oder Furore, im Sommer, als es ansonsten still war, wegen des alljährlichen Ozonlochs über den Schreibstuben. Wir Altöttinger haben, ohne dazu etwas selbst beizutragen, einen gewissen Ruf, wir gelten als besonders Papsttreue oder gerade im Gegenteil, als besonders Abtrünnige. Wichtig ist nur, dass man Altötting erwähnt, dann wissen viele Bescheid und kramen Gehörtes und Gelesenes heraus, um leichter urteilen zu können – und ich will es meinen Mitmenschen leicht machen.

Altötting ist ein Wallfahrtsort. Manche verbrachten dort eine »Scheißjugend«, andere eine gute. Einige sagen, der Teufel lebe unter den Gemäuern einer Kapelle, viele halten denselben Ort für heilig und werden von Krankheiten geheilt. Alte Bilder zeugen vom Glauben daran.

Zum Glauben habe ich eine sehr private Einstellung, die, wenn ich sie öffentlich machte, nichts Privates mehr hätte.

Ich kenne niemanden, außer mir selbst, der innig an den Zufall glaubt.

Das sage ich, ist mein Glaube. An irgendwas muss ich glauben!

12. Oktober 2011

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Altöttinger || @ Bernhard Karlstetter