Grillfest → Ulf im All

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Tief bedrückt schrieb Sönke in sein Notizbuch: »Der als Erfolg getarnte Flug ist beendet, und überdies: Die seinerzeit als wahr mitgeteilten Presseinformationen, das haben wir inzwischen dank intensivster Bemühungen und Beziehungen herausgefunden, waren nichts als gelenkte Enten gewesen. Das ist die Tatsache, an der nur vereinzelt und auf verlorenem Posten gezweifelt werden darf.«

›Ein dunkler und ein blauer Fleck auf meinem Berufsethos‹, dachte er sich beiseite in der linken Herzecke.

Er saß, so wie heute vielleicht Tausende anderer Berichterstatter, frisch aus dem Journalistenkonvoi entlassen, vor den Trümmern eines Lebenswerkes, seines.

Sönke saß im Stadtcafé vor dem buttergelben Plundergebäck, tauchte es in seinen Kaffeeole, blätterte, während er enttäuscht den Kopf schüttelte, in den Magazinen, in denen er veröffentlichte. Er sah hin und wieder auf zu den verwöhnten FilmstudentInnen reihum, die ihre Köpfe in dieselben Magazine versenkten und die ungeheuren und faszinierenden Bilder aus den Kriegen da & dort betrachteten und die glitzernden Modenschauen auf dem Catwalk gleich daneben. Aus dem Lautsprecher klang unversöhnlicher Gute-Laune-Pop aus den Zeiten der goldenen Erfolge der Folklore-Hitparade.

»Bitte etwas von den eingelegten Tomaten«, befahl er etwas zu barsch für die Tageszeit der Kellnerin Natalie, einer eingefleischten fleischigen BWL-Studentin.

Drüben an einem kleinen Tischchen saß eine der mittlerweile in diesem Stadtteil so zahlreichen wuchtigen großbusigen Nouveau-Riches – in einem leuchtend blauen Chinillekleid mit Gummihose und Leopardenlendenschurz im eigenen Design. Sönke fragte sich, halb bewusst, halb unbewusst: ›Wo hat sie die dazugehörige Nylonkapuze gelassen?‹

›Es ist traurig geworden in der Welt. Vorhänge hängen ins Wasser, der Urin der Stadtbettler riecht von den Straßenecken in meinen Kaffee hinein. Die überfeinerten Menschen der Endzeit …‹ Er klappte sein Notizbuch zu. So ging es nicht voran!

Sönke war einer von denen, die im guten und rechten Glauben zumal, von den Ereignissen hatten berichten können. Man hatte ihn und seine Kollegen schlicht und ergreifend einfach an der Nase herumgeleitet, hatte ihnen falsche Tatsachen schmackhaft aufgetischt und serviert mit Avocadocreme und herzhafter Púclotte, und sie hatten, ihrem Auftrag gemäß, treuherzig und wahrheitsgemäß falsch berichtet.

Er erinnerte sich an seine größten Erfolge, beeindruckende Vierfarbberichte aus entfernten, vom erwartungsvollen Leser meist zu Unrecht mit einer romantischen Exotik ausgestatteten Kriegsschauplätzen; er erinnerte sich an die erschütternden und immer wieder vor allem anderen aufs Neue erschütternden Ereignisse, die er in packender Live-Crisis-Stimmung zu erzählen vermochte wie kein anderer.

Unzufrieden schüttelte er den Kopf: Genuss ohne Reue mochte heute nicht so leicht wie sonst in Schuss kommen; sein Magen war nicht aufgeräumt genug, spielte wieder den Nervösen. Er warf eine Tablette ein – so was räumt den Magen auf.

Er sah zu Natalie hin, die mit ihrem sexy Miniminirock das Café beherrschte. Welche Beine stolzierten hier herum!

Es war ihm geglückt, trotz widrigster Umstände, Ulf aus dem All, unseren Wissenschaftsastronauten, in das Stadtcafé einzuladen, den Mann, der bei den fraglichen Ereignissen von der ersten Stunde an dabei gewesen war. Zwar war es nur eine Begegnung auf mittlerer Ebene, nichtsdestotrotz von höchster Bedeutung für Sönke.

Vor dem Treffen lauschte er mit seinem frisch importierten Psychowalkman planetaree Transformationsheilschwingungen der universalen 432-Hertz-Frequenz; das entwurzelte seine Schwergläubigkeit. Entspannung pur und Einstimmung auf höhere Gelichter, drei regungslose Minuten lang.

Wozu das alles? Zum Besser-Leben, so einfach!

Ulf aus dem All war der Mann gewesen, der das große Kristall gezüchtet hatte. Ein für seine Zuverlässigkeit vielfach ausgezeichneter Mann. Um so unglaubwürdiger war es daher, dass gerade ihm die Fruchtfliegen eingegangen sein sollten. Jetzt hatte er einmal eine Sache, der er auf den Grund gehen wollte. Dieses Mal wirklich. Sönke war vielleicht nicht der Einzige, der nicht glaubte, dass das Experiment in der Schwerelosigkeit an Resten von Desinfizierungsmitteln, mit denen die Fliegenbehälter gereinigt worden waren, gescheitert sein sollte. Reste von Desinfizierungsmitteln! Mehr nicht? Mit mir nicht!

Ulf trat ein, wie nicht anders zu erwarten: großgewachsen und kreativ.

»Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit«, sagte er markig zu Sönke, der zum wiederholten Male rauchte. »Ihr Gesundheitsminister.«

Zunächst erzählte Ulf aus dem All Belanglosigkeiten, nichts was nicht sattsam bekannt war. Ungeduldig unterbrach Sönke Ulf, der die Wahrheit zurückhielt: »Mein Lieber: Was war mit den Fruchtfliegen wirklich geschehen! Zur Wahrheit hinter der offiziellen Lüge!«

Schweigen. Kein Wort, auch kein wahres Wort. Aus den Lautsprechern klang unprätentiöser Gute-Laune-Pop. Sönkes Cappuccino wurde kalt und ruhig. Er löffelte lustlos das Schokoladenpulver vom flauen Schaum.

Was hatte Ulf aus dem All so schweigsam gemacht? War es der Blick in die mit Gesteinsbrocken übersäte Marslandschaft gewesen? Die zahllosen erloschenen Vulkane, die noch vor Hunderten von Millionen Jahren äußerst aktiv gewesen waren und nun tote Anblicke boten? Das langsame Siechen der Fliegen in der Schwerelosigkeit in ihren trostlosen Behältern? Oder etwas Schlimmes?

Als Ulf aus dem All seinen Helm abnahm, um die schreckliche Wahrheit zu bekennen, war Sönke ein aufmerksamer Zuhörer. Flüsternd befahl er Natalie. »Zahlen bitte!«

»Was ist geschehen?«, fragte Natalie und bückte sich zu Sönke herab, wobei ihr Rock noch etwas höher hinaufrutschte, was Sönke nicht entging, was er ohne innere und äußere Erregung zu zeigen erstaunlich gelassen hinnahm.

»Du wirst es erfahren. Morgen kannst du alles über diese Angelegenheit lesen, Natalie! Ich verspreche dir Spannung, Grauen und buntes Leben zusammengemischt in einem fein verschnürten Wortkraftpaket, einem weiteren sagenhaften Artikel mit der Unterschrift Sönke.«

Sönke ging befriedigt nach Hause und dachte daran, wie all das Gas an die Erdoberfläche drang. Er dachte an die ungeheuren Bilder aus all den Kriegen.

1991

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Ulf im All || @ Bernhard Karlstetter