Vor einigen Tagen kam es, während ich einen Spielfilm im Fernsehen sah, zu einer Frequenzstörung aufgrund des Sturmes, der seit einigen Tagen herrscht. Unvermittelt sah ich im Abendfilm, nach einem kurzen Bildriss in eine vegetationslose Landschaft, mit Blick auf eine Reihe grauer Vulkane. Im Vordergrund schwarzgraues Lavageröll, dahinter Weite und die geschwungenen Linien der Vulkane. Ein Mann wanderte über das Geröll. Er trug einen Hut, wie ihn chinesische Reisbauern tragen. Um die Schultern hing ihm ein rotschwarzer Poncho, eine Tasche war an einem Riemen hinter dem Rücken verborgen, überkreuz mit einer Machete. Es schien, er trug Sandalen und ging dabei schnellen beständigen Schrittes. Näher war er nicht zu sehen. Die Stimme eines Sprechers sagte dazu: »Das ist der Vulkangeher. Er geht von Vulkan zu Vulkan. Niemand hat ihn je gesehen und nie sieht er einen Menschen auf seinem Weg.« Daraufhin war das Bild unterbrochen und ich sah wieder den Spielfilm.
Ich vergaß die Episode. Als ich mit Freunden in einer Kneipe über das dauerhaft schlechte Wetter redete, fiel sie mir wieder ein. Alle sahen mich erstaunt und etwas befremdet an. Bei ihnen war es zwar zu Sendeausfall gekommen, aber nicht zu Einblendungen. Was denn ein Vulkangeher überhaupt sei, fragten sie. Woher sollte der Film kommen? Niemand hat den Vulkangeher je gesehen? Du hast einen Bericht über ihn gesehen.
Meine Freunde interessierte es nicht weiter. Das schlechte Wetter würde vorübergehen und Hauptsache wäre, wenn das Fernsehprogramm wie gewohnt zu empfangen sei.
Herausfinden konnte ich nicht, was ein Vulkangeher sein könnte. Am Geophysikalischen Institut gab keiner auf meine Anfrage eine Antwort. So etwas gäbe es nicht. Jemand hätte mir einen Bären aufgebunden. Wozu bräuchte zum Beispiel ein Mann in einer Landschaft ohne Vegetation eine Machete? Was würde so ein Vulkangeher überhaupt machen? Zu welchem Zweck wandere jemand um die Welt auf der Route der Vulkane? Um sie zu inspizieren? Gehörten ihm die Vulkane?
Ich kann mir das Rätsel des Vulkangehers nicht lösen. Was könnte, denke ich mir manchmal, der Sinn ewigen Wanderns sein, losgelöst von allen menschlichen Kontakten?
Niemand außer mir scheint die Störung gesehen zu haben. Beim Rundfunk sagte man mir, es sei nicht üblich, dass fremde Sender die lokalen überlagerten. Bei schlechtem Wetter sei nicht auszuschließen, dass es vereinzelt zu Überreichweiten komme, normal seien Bild- und Tonausfälle.
Im Zusammenhang mit den Vulkanen habe ich neulich in den Abendnachrichten einen Bericht von einem Asteroidenabsturz gesehen. Der Asteroid stürzte auf eine Vulkaninsel und riss dabei eine Seite eines Vulkans auf. Auf der Insel, ich konnte nicht herausfinden, wo sie genau liegt, wird Bergbau betrieben. Ein Reporter war auf der Insel, der zum ersten Mal live für das Fernsehen Bilder aus dem Innern eines Vulkans übertragen werde. Dazu würde er selbst sich mit einer Kamera in den Grubenschacht, in dem einige Stollen zum Einsturz gekommen waren, mit dem Seil hinablassen. Ich war gespannt auf diese Bilder. Enttäuscht kam der Reporter zurück. Er hatte sich etwas Besonderes erwartet, statt dessen, sagte er, gäbe es nichts als Rauch, an dem er beinahe erstickt wäre. An Bildern sei nichts als schwarzen Bildschirm zu sehen.
Am nächsten Tag wunderte mich, dass ich von dem Asteroiden nirgends lesen konnte. Meine Freunde hatten davon nichts gehört. Sie meinten lediglich, ich sei von Vulkanen besessen.
Ich hoffe, dass die Schlechtwetterperiode bald zu Ende geht. Sie beschert mir Nachrichten, die nur über meinen Bildschirm zu laufen scheinen. Es kam zu verschiedenen anderen, von denen ich diese eine bei weitem nicht merkwürdigste erwähnen will. Zu den seltsamen Menschen wie dem Vulkangeher gesellte sich heute eine Frau, die, wie es hieß, alle Touristen, die zwischen den Welten wandern, verfolgt. Ich sah sie an einer schrägen Wand entlang gehen.
Ich sitze dann abends vorm Fernseher und habe keine Lust mehr das Programm zu verfolgen. Ich frage mich: Was zum Teufel ist ein Vulkangeher? Was ist ein Tourist, der zwischen den Welten wandert? Und warum, wenn es ihn gäbe, muss er verfolgt werden? Und so weiter.
Wenn sich das Wetter ändert, verschwinden vielleicht Frequenzstörungen. Die gesehenen Bilder bleiben mir. Auch wenn sie keinen Sinn ergeben, ich habe sie gesehen. Sie führen ihr Leben weiter, selbst wenn nie jemand den Vulkangeher sehen wird, nie jemand von der Frau erfährt, die zwischen den Welten wandernde Touristen verfolgt.
Ich habe daran gedacht, einen Videorecorder laufen zu lassen, um die Störungen aufzunehmen. Wenn ich eine der Nachrichten hätte, was würde das sagen? Denke ich mir, meine Freunde würden mir dann glauben? Beweise hätte ich deshalb auch nicht und es ändert nichts. Der Vulkangeher geht weiter, egal was ich mache, ob ich an ihn glaube oder nicht. Wenn ein Asteroid in die Welt einschlägt, ist er nur von Bedeutung, wenn er in den Nachrichten erscheint. Die Touristen zwischen den Welten werden gefangen, bevor unsereiner davon berichten kann, was sie gesehen haben. Ich zweifle selbst, dass ich ihnen ihre Geschichten glauben würde. Wenn es sie gibt, behalten sie alles für sich.
Ich hingegen schreibe diese belanglosen Dinge auf, in der Vorstellung, meine Notizen wird jemand lesen, der sie kennt, die Unterbrechungen, die er nicht versteht, trotz aller Erklärungsversuche sie in sein Leben einzubeziehen. Es scheint schwer Dingen ihren eigenen Sinn zu lassen, und sie nicht auf sich und seine Vorstellung von Sinnhaftigkeit zu beziehen.
Ich habe es hiermit versucht. Sie haben sich mir entzogen.
Der Vulkangeher || @ Bernhard Karlstetter