Mein Mindset muss überarbeitet werden. Ich habe es begriffen. Es ist nie zu spät für Erkenntnis aus dem Reich der Unwissenheit. Ich komme aus der Nacht (jeden Morgen) und gehe ins Helle. Wie der Tag endet … das ist falsch programmiert … gehe ich wieder in die Nacht. Nachteulen erleben das anders. Ich bin mehr eine Lerche, ein Frühaufsteher, der Morgengesang liebt. Meine Tastatur ist mein Notenblatt. Sind meine Melodien schön? …
Mein Mindset liegt am Boden vor mir ausgebreitet. Es sind Flecken darauf und am Rand ist das Gebilde ausgerissen. Mit einem Föhn könnte ich es emporheben wie einen fliegenden Teppich, und damit versymbolisieren meinen Glauben an den stetigen Weg nach oben und der uprising thoughts (gibt es die schon, oder ist der Begriff erst zu begrünen?). Dem Düsteren, das einen miesen Ruf hat, will ich immerzu etwas von einem Höhenflug geben. Diesen Gedanken möchte ich gegen Ende meines Buches abrunden, zum Selbstweiterreimen dem Leser mitgeben und noch einmal eine Starthilfe anklemmen.
Mein Mindset dreht sich um … und um … Um was es sich handelt, das ich zu ergründen habe, schreibe ich nicht. Hier schreibe ich über das Glück, das Glück glücklich zu sein aus zweifelhaften Gründen: aus gar keinen. Glück und Zufriedenheit sind nur entfernt miteinander verwandt. Zufriedenheit macht keine Luftsprünge. Das Glück verbinden wir mit dem Zufall: »Da hast du Glück gehabt!« Glück kommt nicht von ungefähr, du kannst es zulassen oder Angst davor haben … und schon bin ich mittendrin im Mindsettinging. Zur Zeit kann ich daraus nicht aus, überall sind Settings. Einige Kurbeln drehen, immer und immer wieder drehen, und, wie ein Schauspieler, Haltung in Gestik und Mimik üben, dann wird das Glück kommen, und sei es nur, dass ich in einer Rolle glücklich aufgehe.
… … Ich habe mich einigen Selbstformulierungen freimütig überlassen, kam etwas weit ab von mir und meinem eigenen Standpunkt zu den Dingen und Undingen um mich und in mir. Wer settet mir dazwischen, damit es flüssig weiterläuft und ich nicht wieder stolpere?
Ich schaue mich in meinem Arbeitsraum um und erkenne einen, der am Eingang steht: ein Wächter. Er sieht mir schon ähnlich … Er ist kräftiger als ich, ein gebildeter Body – Türsteher sind immer so bullige Männer; sie wirken grob, müssen es aber nicht sein. Über die Personen, die sie einlassen, haben Türsteher allerdings ihre Vorstellungen. Die in den Club eintreten – eintreten dürfen – sind ihre Gefangenen. Das denken sie allerdings nicht, sie halten sich für die Privilegierten … So einer bin ich in dem Zimmer, in dem ich arbeite, male und schreibe und esse. An der Tür steht er, die Arme verschränkt. Wie oft gehe ich jeden Tag an ihm vorüber? So oft, dass ich ihn nicht mehr bemerke. Er lässt mich nur rein, wenn ich dasselbe mache, vor allem dasselbe denke … er spürt es, er spürt Abweichungen. Dabei ist ihm egal, was ich in meinem Zimmer treibe, ob überhaupt etwas; er kennt mich und meinen Alltag. Er sieht nicht zu, er weiß, solange ich dasselbe denke, ist es seinen Regeln konform. Wer hat sie ihm eingegeben? – Der ist mir durchaus bekannt.
Ich war auch oft draußen, bin dem Türsteher entkommen. Aus meinem Fenster kann ich nicht steigen, es ist nicht ebenerdig, ich muss fliegen; und ich tue es – dazu schließe ich nicht einmal die Augen. Es ist nicht alles schön und Traum, worüber ich schwebe und schwebte. Nicht jeder Traum ist gut, nicht jeder dunkle Traum ein Alptraum, nicht jeder Alptraum ein Verlies, das ich nicht auflösen kann. Verliese gibt es; wenn ich sie nicht sehe, würde ich die Welt nicht erkennen; Fliegen kann mich in Wolken hüllen, die Flughöhe lässt mich wenig im Detail erkennen. Ich fliege auch durch Mauern. So schwer ist es nicht, ich muss nur den Widerstand begreifen, vom Körper und dem Gedanken vom Körper. So einen Rat gebe ich mir vor einer Mauer.
Oft habe ich die Geschichte gehört vom Ende des Lebens, vom Tunnel und vom Licht, habe sie auch gesehen, ohne dem Tod nah gewesen zu sein (vielleicht sah er mir doch über die Schulter oder durch meine Augen). Wer ihm entwischt ist, wer ihn getroffen, scheint glücklicher zu sein, befreit vom Sorgedenken. Das ganze Leben, bis in bedeutungslose Details laufe an einem vorbei, lese ich. Dabei bewertest du, was du siehst, in gut und schlecht. Am Ende stehe aber die Einsicht, dass es nun vorüber sei und du könntest dir selbst vergeben, deine großen Fehler, die du vergessen hast, ja nicht einmal bemerkt hattest. Dass sie sich selbst vergeben und verzeihen ist, was die Nahtoderfahrenen hinfort befreit von Zwängen leben lässt. Sie hatten die große Gelegenheit, sich selbst einmal zu schauen, von außen, oder ganz von innen. Sie erkennen das Glück des Lebens schlicht darin: am Leben zu sein. So denke ich mir das Gehörte zusammen. Sie haben ihr negatives Mindset gelöscht, heißt es im Coachingdeutsch.
Jedoch, sagte ein Nahtoderfahrener, der aus meinem Computer sprach, was du dir nicht vergeben könntest, sei, was du versäumt hast, sei nicht, was du falsch gemacht hast, sondern was du nicht gemacht hast. Gibt es einen Unterschied?, dachte ich, aber es ging mir nach. ›Du weißt sehr gut, um was es sich handelt‹, sagte mir eine Stimme, im nahen Irgendwo neben mir. Meine Gedanken verloren sich in Traurigkeit. Und schließlich sah ich mich selbst. Ich schreibe es oft: Ich brauche mir nur etwas zu denken, dann seh ich es. Ich sah mich selbst dabei und legte mir die Hand auf die Schulter; es durchschauerte mich.
Vielleicht kennen Sie nichts dergleichen. Mir kommt es wieder in den Sinn; immer mal wieder; dann und wann. Wenn ich schreibe, lese, schlafe. Und es spricht mich an, es redet mit mir. Ich verschiebe es nicht auf das Ende. An das Versäumte denke ich kurz nach dem Augenblick des Versäumens, und vergebe mir schon die Folgen, die unabsehbar neben mir weiterlaufen und verschwinden (bis manche wieder meine krummen Wege kreuzen und ich sie in die Tastatur tippele). Ich will das nicht erst am Ende machen, ganz am Ende auf dem Weg nach drüben, wenn keine Zeit mehr ist, bevor ich in Trance davonschwimme und das Versäumte, das Gelebte, das Ungelebte hinter mir lasse und ich aufgehe in … nichts.
Mein Mindsetter an der Tür zu meinem Arbeitsraum ist etwas gnädiger geworden. Er kennt meine Skrupel und die Angst vor Entschädigung. Er ist manchmal ein ungebändigter Schulterklopfer, haut drauf und sagt: »Du hast viele Leben in deinem kleinen zerfahrenen Kopf, kannst aber nur eines leben. In Gedanken bist du weit entfernt gewesen. Gedanken haben sich an weiten Ufern angesiedelt und haben sich über dich hinaus erhoben. Und ich, dein Torwächter, habe dir die Erinnerung daran unsichtbar gemacht. Das Versäumte ist ein anderes Leben, das in einer Parallelwelt … an das ihrerseits Versäumte denkt. Mitunter. Und Bücher liest; und schreibt, was es nicht gelebt hat.«
So drängt er mich wieder an den Tisch, sagt: »Schreib das nieder. Das ist ein Befehl! Meindsette dich endlich, Bernhard Ka.«
Was haben wir von Büchern? Gedanken, die wir wieder vergessen. Und mein Buch lebt nach der Lektüre ganz für sich zwischen den Buchdeckeln sein eigenes ungelebtes Leben weiter.
Mein Lichtnachwort aus dem Dunkel endet mit einer Blendlaterne.
3. Januar 2022
Das Meindset zum Buch || @ Bernhard Karlstetter