Mein Sohn Emanuel will einmal Rausschmeißer werden, sein Lieblingsessen ist Wiener Schnitzel mit Pomm-Friz und seine Lieblingsfarbe ist Blau. Mein Grundsatz lautet: Man soll den Kindern ihren Willen lassen, und ich red ihm nicht drein. Was ich hasse, ist Hinterfotzigkeit! Mein Fehler ist, dass ich nicht abgebrüht genug bin – ich glaub halt nicht zweihundertprozentig an mich. Was eigentlich mein Lebensmotto ist, darüber denk ich grade nach, als mein Nachbar an die Wand klopft. Ich lauf schnell zum Fenster hin, da lacht er schon herüber, Aufregung in den verspielten Mundwinkeln. Er hat den Kopf zum Fenster heraußen. Er sagt: »Das Sonderopfer.«
Ich frag: »Das Sonnenopfer?«
Er sagt: »Ein Hoffnungsträger.«
Ich frag: »Der Hoffmann is träger?«
Er sagt: »Herr Max, was is Ihnen?«
Ich frag: »Wasissinnen?«
»Ich versteh heut schlecht«, sagt er.
»Wer hat recht?«, frag ich. Dann hat sich das ganze Missverständnis herausgestellt. Es war ein Missverständnis, nichts wirklich Tragisches, ich hab nur nicht richtig ghört. Mein Nachbar ist eben ein Glücksfall als Mensch und Nachbar.
Ich erklär ihm, dass es der südliche Passat, der Föhn, ist und schneuz mich kräftig, denn das ist so ein reinigendes Gefühl.
»Was machd Ihnen Ihr Bua wieder für Sorgen?«, fragt mein Nachbar, der mir alles ansieht an meinem langen Mondgesicht. Mein Sohn sitzt in dem Moment ruhig über die Pomm-Friz und isst.
»Jetz will er Rausschmeißer werden, wo er aus so einer noblen Familie is«, erklär ich ihm die schwierige Situation, in die ein alleinerziehender Vater geraten ist mit seinem Sohn.
»Gehens! Des is doch ein guter, angsehener Beruf und notwendig is er auch. Heut wo so viel Gsindel und Glump herumlauft. Da kommt er mit die vornehmsten Leut zusammen, Herr Max. Und wenn ihm einer nicht passt, dann haut er ihm eine rein, des darf er dann, und ist sogar erwünscht.«
»Sie reden eine beredte Sprache«, sag ich, »das gfällt mir.« Warum soll ich ausgerechnet da lügen? Es gibt keinen Grund.
»Sie ham sich grad rasiert«, red ich einfach weiter, als wär nichts gwesen, weil er so riecht, so männlich nach Alkohol.
»Gell, des is eben schöner so. Ich hab ein Rasierwasser, das is so gut, weils ein Verwöhnaroma hat. Teuer, aber gut! Gewissen in Essig und Öl. Und die Frauen erst, wenn des riechen … die strecken ihre Nase lang hinter mir her … Sie verstehen …«
»Was, ich hab nicht verstanden?«, frag ich, weil ich hör ja heute schlecht. Der ewige Föhn in dieser Stadt, ganz gleich ob einer is oder nicht. Er is immer da.
»Machd nix, ich bin ja Dichter«, sagt er. »Ich denk mir eben so Sachen aus.«
»Mein Bua machd mir Sorgen«, sag ich, damit keine Pause entsteht, weil Applaus war keiner zu hören. »So«, sag ich zu meinem Sohn, der alle Pomm-Friz tadellos aufgegessen hat, »jetzt kaufsd ein, weil einer muss es machen, und ich red grad mit dem Herrn. Schreib auf: Rahm, Speck, Tomatendosen, Zucker, frische Eier, und schau dass alle ganz sind, sonst schick ich dich wieder zrück, schwarze Schuhcreme, Pistazien und an Limburger. Hopp jetzt, Lümmel«, sag ich noch drauf, damit er munter wird.
»Jetzt bin ich wieder da«, sag ich zum Theatermenschen, dem Parlator, meinem Nachbarn.
»Gut«, sagt er und schiebt eine Scheibe Brot schnell in den Mund. Es war ein teurer Schinken drauf. »Man redet doch immer, schauns, und da erklär ich Ihnen jetzt einmal etwas. Also stellen Sie sich eine Raumfahrerkneipe vor.«
»Ja«, sag ich, denn das kann ich mir gut vorstellen.
»Auf einem Planeten irgendwo im Nichts zwischen den Milchstraßen, wo die Raumfahrer Brotzeit machen und Auftanken.«
»Ja«, sag ich, »ich sehs vor meinem geistigen Auge. Könnt hinter Putzbrunn sein.«
»Sie sind in der schäbigen Raumfahrerkneipe, die Tür ist offen, weil sie schon lange herausgfallen is. Es is unglaublich heiß und keine Bäume hats nicht auf dem Planeten. Er is bloß rund und sandig.«
»Gibz sowas?«, sag ich erstaunt über sowas, »aber mei …«
»Die Luft flirrt. Zwei Raumfahrer sitzen in ihre schwitzigen Anzüg mit Schweißflecken unter de Ärmel, a schlampige Bardame is ganz müd und es gibd keine Eiswürfel. Könnens mir folgen?«
»Unbedingt, spannend und so schmutzig irgendwie! Sehr gut«, sag ich, »sehr gut. Und? Weiter!«
»Draußen an der Zapfsäule steht ein altes, rostiges Raumschiff, und hinter der Kneipn is ein Schrotthaufen für zerdepperte Raumschiffe. Da brauchd man keine Müllanlagen, weil Platz is ja genug auf dem Planeten, weils ja nur die Zapfsäule gibd.«
»Mein Gott«, sag ich, »aber mei …«
»Alle paar Monat kommt einer zum Tanken und bleibd a Stünderl, dann fliegt er wieder weiter. Man redet nichts, weil, was soll man da reden?«
»Mein Gott, sowas«, sag ich.
Jetzt hebt mein Nachbar die Finger. »DES is für mich Verlassenheit.«
»Für mich auch«, sag ich, »aber genau!«
»Herr Max! Jetzt sag ich Ihnen eins: Da redens von der Großstadt, von der Vereinsamung bei uns. O mei. Des is a Klacks gegen sowas. Sag ich.«
»Sagen Sie!« Des muss ich gleich meim Buam sagen«, sag ich. »Sie erstaunen mich stets von neuem, was Sie für eine Fantasie ham. Sie müssen unbedingt zum Film.«
»Findens? Hamms noch a Flaschn Bier, Herr Max? Ich hab jetzt von der ganzen Hitz an Mords-Durst kriegt. Sie ned auch?«
»Freilich. Immer«, sag ich. »Ich muss warten auf den Bengel, der brauchd wieder beim Einkaufen so lang.«
»Wenn Ihr Bua wieder kommt, kann er ja bei mir klopfen, wir machen ihm auf, Herr Max, oder!«
»Na freilich«, sag ich rundheraus, und der Tag war gerettet.
Februar 1992
Herr Max || @ Bernhard Karlstetter