Vor einem Schachbrett aus rosa Kacheln, etwa 50 mal 50 Zentimeter groß, willkürlich in die rot-orange gestrichene Kalkwand eingefügt, aufgesetzt auf das rundliche Waschbecken, steht ein Wasserhahn, zweischenkelig mit Schrauben für kaltes und warmes Wasser – aus beiden nur kaltes fließend –, erhebt er sich als verchromtes Rohr, wölbt sich und sinkt wieder über das Spülbecken.
Etwas daran beunruhigt mich; ein Vorgang, ein völlig belangloser zwar, doch mich in seiner Bewegung an etwas erinnernd, etwas Lebendes, das zu einem Größerem, Organischem gehört, ein mechanischer Vorgang nur: Der Wasserhahn ist undicht. Ein Tropfen fließt aus seiner Öffnung, zaghaft, und mich faszinierend: zitternd, nach oben wieder zurückwollend, ängstlich vor der Formung, die ihm Schwere verleihen wird und ihn schließlich zum Fallen zwingt.
Es lebt ein Gedanke in dem Wasser: Sich für einen Augenblick vom Körper trennen zu müssen, einen Augenblick herausfließen aus der Einheit, im freien Fall um sich zu blicken, die rosa Kacheln zu erspähen, den gähnenden weißen Krater; für einen frierenden Moment lang in eine kahle und getünchte Welt einzutauchen.
Vielleicht zittert der Tropfen vor Kälte, vielleicht zögert er aus diesem Grund. Dann formt er sich, hat er genug gesehen – und lässt sich fallen. Er taucht wieder unter, man kann ihn nicht mehr benennen; es gibt ihn nicht mehr, obzwar er vorhanden ist.
Zunächst glaubte ich, er ließe sich fallen, es sei seine eigene Entscheidung sich fallen zu lassen. Dann, als sich der Vorgang wiederholte, zögerte ich gleichfalls, und dachte: Vielleicht wurde
er gestoßen, denn der nächste wartet schon; und nun beginnt der auch zu zittern – und dennoch glaubt er, der Tropfen, für eine Sekunde an sein individuelles Dasein.
August 1984
Ein Wasserhahn || @ Bernhard Karlstetter