»Frau Saubermann lebte mit Herrn Mustermann eines bescheidenen Tages in geordneten Verhältnissen. Nun ist ihr gekündigt worden. Sie war Verkäuferin in der Fleischabteilung eines bekannten Suppenhauses in der Stählmannstraße. Sie kannte die sorglosen Kunden, die zumeist die übergroßen Portionen, die sie von der sündhaft teuren Trüffelleberstreichwurst abschnitt, ohne Bedenken nahmen. »Ist es recht so?«, fragte sie zum Trotz scheinheilig, von der Direktion angehalten zuvorkommend zu sein, und setzte dabei das Messer an; die Kunden nickten und legten die in der falschen Meinung von Frau Saubermann sündhaft teuren, großen Portionen in ihren Einkaufswagen.
›Das Geld liegt auf der Straße‹, dachte sich Frau Saubermann bei solchen Angelegenheiten. Sie selbst aß Champignons, Dosen III. Wahl, anstatt frischer, duftender Ware; Hähnchenklein anstatt fetten Gänsen!
Es entstand eine Pause.
»Derjenige unter uns hebe den ersten Stein, der das nicht kennt«, sagte bestimmend deutlich Diplompsychologe Z. B. zu seiner Patientin. In kritischen Situationen wie diesen, in denen die Patientin an den Rand einer Krise getrieben wurde, ließ er sich gerne beim Vornamen nennen, einfach Zoroaster B. Er entdeckte seine besondere Gabe des Geschichten-Erfindens aus dem Alltag, anlässlich der Einführung seiner besonders hartnäckigen und anhänglichen Patientin Pia Pe in eine neue Therapie: Seither heilte er mit erstaunlich anwendbaren Geschichten.
In seinem Zuhause lauschten die vielen Patientinnen seinen Geschichtchen von Öm Flöpp, dem riechenden Drachen-Erklärbären und Bürgermeister, der keine Jungfrauen mehr wollte, von Pontius, der buntgescheckten Tagesmaus, und Huckepecki, die unter Embolie und Bulimie litt, dem gewichtsregulierenden Erbrechen unter Schlankheitsdruck. Wadenkampf nannte er einen Gewissensbiss, der einer Mehrlingsfamilie entlaufen war. Alle diese bunten Figuren kombinierte der erfindungsreiche Diplompsychologe Z. B. in immer neuen, wunderbar wandelbaren Themen und Variationinnen. Am Ende einer Sitzung pflegte sich der runde Satz einzustellen: »Rechtzeitige Information macht den Abschied von alter Gewohnheit leichter.«
So erfand er eines Tages die Gute-Nacht-Geschichte von Frau Saubermann, als seine Tochter Erda-Jeanette während eines Toskanaurlaubes sich wiederholt weigerte einzuschlafen. Hier bewirkte die Geschichte Überraschendes, wo Schimpfen & Zureden, Versprechungen & Drohungen nichts genützt hatten. Davon zu guter Letzt etwas mehr.
Kompliziert wurde es vergangenen Mittwoch als Frau Saubermann (aus erwähnter Gute-Nacht-Geschichte) eigenpersönlich sich zu einer Therapie anmeldete. Sie hatte von Zoroasters Gabe gehört, als sie, ohne es zu wollen und zu wünschen, das Gespräch zweier Kundinnen vor der vollen Fleischauslage belauscht hatte. »Die Steaks so dick?«, hatte sie gefragt und gedankenverschwunden in das dunkle Fleisch geschnitten, das von weither bis hierher transportiert worden war und kurzgebraten werden wollte – woran Frau Saubermann gerade dachte, als sie hörte, dass Doktor Diplpsych. B. die kleine Manuela-Leda von der Windel befreit habe. »Seitdem schläft die Kleine wieder durch«, hörte sie die Kundin frohlocken. Für Frau Saubermann war es damit beschlossene Sache, sich bei Zoroaster B., Diplompsych., anzumelden, wegen fortwährend andauernder Überdüngung eines nicht mehr zu verbergenden Gewissenskonfliktes.
Frau Saubermann verließ Herrn Mustermann, verschwand in die Welt und heiratete Zoroaster B. Gemach sind sie eine Familie
mit fünf Kindern geworden, die an Urlauben in die Türkei zu den Pyramiden und die Strände an der Algarve nicht sparen. Es fehlt dem jungen Paar, das seine Beziehung mit mehr als 50 % erhöhter Konfliktbereitschaft und geringen multiamourösen Erwartungen begann, auch nicht an Streitpunkten, denn SIE kann sich oft nicht vorstellen, dass ER manchmal wirklich nur mit ihr schmusen will. ER wiederum regt sich auf, dass SIE im Bett ihr Nachthemd nie auszieht. SIE hat große Probleme, sich zu entspannen und gehenzulassen, wenn ER dabei ist. ER will nicht ausgeschlossen sein, wenn SIE sich selbst zum Höhepunkt bringt – moderne, vielgestaltige, beredte Probleme, die etwas Abwechslung in den langweiligen und langwierigen Alltag bringen.
In dieser sehr schwierigen und befleckten Situation kommt in Lanzarote, auf dem schönsten Flecken dieser Welt (der Mirador del Rio!), Zoroaster die rettende Idee bei einem entspannenden Eisenbad. Wenn er hier seine Wundergabe verwendete … im Nu wäre der Wirbelsturm über Kalifornien aufgelöst und die fortdauernde Kälteperiode, die in ihrer Wohnung herrschte, könnte unter Hochdruckeinfluss und Sand aus der Sahara wieder zu dem werden, was sie vordem war: eine kugelrunde, rundum harmonische und auch befriedigende Sache.
Frau Saubermann schlürfte dabei, am Beckenrand sitzend, das Lieblingsgericht des Urlaubs: schlichtes, ethisch einwandbefreites Koko-Seis.
Also erfand Zoroaster folgende Geschichte um folgende schlanke Figurinen: »Öm Flöpp, Pontius, die Tagesmaus, und Huckepecki, die unter Embolie und Bulimie leidet, gehen in ein Warenhaus. Dort treffen sie Frau Saubermann«, erzählte Zoroaster, »die missmutig vom Reichtum ihrer Kunden angeekelt und sichtlich sittlich aufgeheizt auf all das Geschnetzelte einhob? einhieb? einhiebte? Und wie sie sie so sehen, so sagen sie alle: ›Frau Saubermann! Ein weises Wort wird wahre Wunder wirken! … Und geben Sie uns bitte von allem etwas! Etwas mehr.‹«
Worüber bei Familie B. alle so herzlich lachen konnten, dass sie ihren Kummer vergaßen, Kumkwats aßen und die kleine Erda-Jeanette zu guter Letzt auch aus ihrer hausgemachten Windel stieg.
Februar 1993
Westliche Hobbys || @ Bernhard Karlstetter