Tiln Rom → Wenn die Sterne zusammenrücken

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Sechstes Kapitel aus »Die Lebensfontäne«

Trotz überreicher Fantasie und verständlichem Harmoniebedürfnis habe ich einen vor allem anderen gesund gebliebenen Geist. Denn zum einen, wie ich zuletzt klar bewiesen habe, liebe ich das zarte Geschlecht mit großer Ausdauer und zweitens der nötigen Geduld, denn nicht immer kommt man nach den ersten dürren, aber süßen Worten zum ersehnten Ziel. Und drittens gehe ich immer mit gebührendem Anstand auf die Pirsch, was im Besonderen ein Zeichen meiner gesunden Vitalität ist.

Daher möchte ich jetzt meine Mitmenschlichkeit bekennen, ich, der Töm Töff, meine kleine Schwäche, ein jeder hat ja eine solche. Ich bekenne: Ich bin ein Schwärmer, bin Romantiker.

Ein Blick in die Sterne in einer klaren Nacht genügt dem sensiblen Menschen, um seine Fantasie zu überhitzen. Nicht so bei mir, ich bleibe da auf dem Boden der Tatsachen, wenn ich in den Himmel sehe. Spekulationen – davon lasse ich die Finger. Das ist was für Träumer. Denn insgesamt hapert es hier ja immer ausgerechnet damit: Der Träumer verliert sich irgendwo inmitten seiner verknorpelten, schrumpeligen Gedankenschläuche, die notwendige Bodenhaftung hat er nicht genügend bedacht, sein Schuhprofil hat sich abgenützt oder der elende Spoiler war zu klein, er kommt ins Schweben und ins Gleiten, verliert jeden Halt, kehrt zerzaust zurück und erzählt uns ungereimtes, windiges Zeug von jenseitigen Himmeln und Erden; alles blasses Material, das auch durch Aufblähen nicht gewichtiger wird.

Andere Dinge bewegen mich heute, gerade heute! als mein einfaches, bescheidenes Leben, in einer derartig schönen, sternenklaren Nacht.

Es funkelt heute, es blitzt, es zischt, es raschelt und rasselt am Himmel unter dem Volk der Kometen, das weidwund am Himmel herumtollt und uns im Verglühen erfreut. So sehe ich das in dieser kühlen Maiennacht. Da hat man ein Gefühl, so ein Gefühl von Heimat richtiggehend. Es ist, als ob die Sonne leuchtete in meinen Händen, wenn ich sie so ausstrecke.

Die Gemeinschaft der friedliebenden Menschenvölker zu umarmen, das ist nun einmal mein innigster Wunsch.

Die Sterne! Das ist etwas, da wird der Mensch inspiriert und denkt an Größeres. Jeder hat andere Gedanken dabei, diese Gedanken fliegen in den Himmel zu den Milliarden unbekannten Welten dort oben, wie uns gelehrt wird, und warum nicht, warum sollte es dort oben anders aussehen als hier auf der kleinen Erde! Wer kann heute noch ernsthaft daran zweifeln, dass es vernunftbegabte Wesen im All gibt irgendwo, die in ihrem Alltag unbekümmert dahinleben auf einer fremden, exotischen Schwefel- und Methan-Welt. Dort mag es schön sein und wunderbar und oft hat dort die Zukunft schon begonnen wahrscheinlich, oder ist schon wieder vorübergesaust. Da ist Platz für Spekulationen! Für Träume, die die Menschheit beseelen. Für Visionen natürlich auch. Woher hat der Mensch all diese Visionen, wenn nicht von dort oben! Die großen Propheten unter uns Menschen, die von Zeit zu Zeit aufstehen aus der versammelten Masse und das Wort mit dem Megafon der Geschichte ergreifen, woher sollten denn all ihre schönen, kräftigen Bilder kommen, wenn nicht von dort oben? Das frage ich!

Wenn man hinaufsieht und sieht wieder an sich hinab, da fällt einem auf: Mensch, du bist klein, du bist winzig, nur dein Hochmut ist groß, und du bist schmutzig, du hast nur Sex im Kopf und Niedertracht und Neid und Raufereien. Ja, da fällt einem wieder auf, wie schmutzig und staubig der Mensch ist hier unten. Die Sterne dagegen funkeln, nichts trübt sie. Aber der Mensch, nein, ich bitte doch, das ist etwas anderes. Die Millionen Latrinen, die es auf dieser Kugel gibt. Daran darf man gar nicht denken, das macht einen trüb- und schwachsinnig. Das stimmt einen mau, flau und melancholisch, dieser Gegensatz. Und wenn es heiß ist in Italien und man schaut vom schiefen Turm hinab, dann rundum der Schweiß aus den Hemden, das vergällt einem auch die allerwerteste Kultur!

Ich frage mich oft, wenn ich auf der Veranda meiner großen Villa stehe – es sind geheime Gedanken und ich äußere sie nicht laut, um Térle und die Kinder mit solch wuchtigem Material nicht zu belasten – ob es in diesen Welten dort oben auch so ist, ob dasselbe Los des Schweißes diese Lebewesen bedrückt? Ich glaube nicht, es kann schlicht nicht sein! Überall Toiletten, vielleicht sogar ohne Wasserspülung, denn es gibt vielleicht Welten, wo kein Wasser ist! Nein, das darf man sich nicht ausmalen.

Mich als allem Neuem aufgeschlossenem Menschen interessieren auch UFOs sehr, warum nicht, ich bin schließlich Töm Töff und mit Perry Urz, dem Weltraumfahrer befreundet, ich kenne Tifti, den großartigen Schriftsteller, und Jopezl, den Weltraumfilosofen.

Man hört kaum mehr etwas von den UFOs. Sie sind abgetaucht aus dem offiziellen Wissen, wie ausradiert jede Nachricht über sie, von Geheimdiensten und höchsten Regierungskreisen. Aber Jopezl, der Weltraumfilosof vom Saturn, hat mir einiges zum Denken gegeben. Man darf sich Lichtwesen vorstellen, sagt er, die über ungeheures, verborgenes Wissen verfügen, sagt er, nicht direkt, es deutet es nur an. Ich sehe sie vor mir, gewaltige Bauten aus purem Licht, aus allerreinster Energie! Gesprochen wird dort kein Wort, sie beherrschen die Telepathie; jeder denkt, was der andere denkt, sie sind alle eins. Sie brauchen keine Telefone, es gibt kein umständliches Nummernwählen, keine Telefongebühren über Landesgrenzen hinweg. Reparaturen an Kabeln und Leitungen fallen flach und aus, man muss nicht drei Wochen warten bis der Handwerker gnädig kommt, denn diese Handwerker, die bilden sich jetzt schon sehr viel ein – und was die kosten! So kann das nicht weitergehen! Für den bloßen Anfahrtsweg zahlt man Unsummen. Das haben wir neulich wieder gesehen, als die Rollläden nicht mehr hochzukurbeln waren, und uns die Rechnung präsentiert wurde! Man telefoniert herum und es vergeht wichtige Zeit, in der man Text einstudieren könnte, – einen halben Schiller hätte ich in der Zeit lernen können, wenn ich ihn nicht schon auswendig wüsste – die der Handwerker brauchte, bis er antanzte. Unser Gärtner ist auch nicht anders, jeden Griff muss man ihm anschaffen. Ich weiß nicht, wo er sich überall in unserem üppigen Garten verkriecht, um außer Rufweite zu sein.

Wenn man das so sieht, da schaut man mit seinen Idealen blöd in die Sterne. Man braucht sich nur umzusehen und ein Auge aufzumachen, dann gehen einem die Sinne über wie einzigartig alles ist und der Mensch insbesondere, der das alles erkennt und nur zu pflücken braucht!

Aber ich habe da auch Zweifel, es ist nicht mehr vorboten, über all das nachzudenken. Das haben wir unseren unerschrockenen Vordenkern zu verdanken. Gerade all die Sterne mit ihren verzauberten Namen und die anderen Milchstraßen überall winzig klein und die Universen in den hintersten Ecken, wo die Quasare und Pulsare sind und die schwarzen Löcher, die in der Überzahl scheinen, geben mir Gedanken ein, wenn ich hinaufsehe und sinniere und dann doch die vielen Risse bemerke, die nicht übertüncht werden konnten bei der großen Erschaffung.

Ich will meinen großen Freund Rözendrödel, den Naturwissenschaftler, zitieren, der einmal auf der Veranda meiner Villa stand und tiefdunkel aber ehrlich mit mir redete. Damals baute Rözendrödel sein Wissen auf. Er sagte etwas Schönes über die Schwarzen Löcher, oder vielmehr etwas Wahres und trotzdem im Tiefsten all dessen ganz und gar Bedrohliches. Denn, wenn es so weitergehe mit der Entdeckung dieser Löcher, bereits auch im Innern unserer eigenen Milchstraße, dann sei es in noch vorauszuberechnender Zeit um uns geschehen, denn die Erde werde aufgesaugt!

Ja, meine verehrten Zuhörer! Das ist etwas Ungeheures, was sich da zusammenbraut über unseren Köpfen. Es ist etwas nie Dagewesenes, in seiner Form völlig Einzigartiges und Neuwertiges. Und an diesem besonderen Tage, wenn es dann so weit ist, das würde man spüren, man müsste die Augen offenhalten. Der Sensible macht das ja allenthalben gerne – dann werden zuerst plötzlich alle Sterne rundum in Bewegung geraten – es muss natürlich beim Weltuntergang Nacht sein, dass man es gut sehen kann, wie es kreiselt und taumelt – aber diese Bewegungen, sagte Rözendrödel mit einem Kreisen seiner Hand über dem Land südlich, sei nur eine relative Bewegung, keine Angst, lieber Hörer, denn er sagte, die Erde bleibe ja immer auf dem Boden, denn sie ist der Grundstein, von dem aus wir messen. Beim Weltuntergang fallen wir nicht von ihr ab, wir bleiben immer haften an ihr.

Es sieht so aus, wie Rözendrödel es mir erklärte: Die Sonne verschwindet auf einmal als nächstes – es muss natürlich jetzt inzwischen Tag geworden sein, damit man dieses Schauspiel sieht, denn es passiert etwas Besonderes mit ihr, Augen auf! Sie nimmt die Gestalt einer Birne an! Das wird man mit dem bloßen Auge in Betracht ziehen können. Nun heißt es Vorsicht, wenn das Sonnenlicht rot wird oder violett, dann geht man schon einmal besser in die Bunker und in die Schutzräume hinab – schade um die einzigartige Aussicht. Man wird auf die Berichte der Berichterstatter angewiesen sein in der Zeit des Weltuntergangs, die wahren Helden dieser Zeit, die oben und draußen am gefährlichen Ort des Geschehens und Sehens den Mut und die Ausdauer finden, in den bedrohlichen Szenarien sich herumzutreiben, um uns in den Bunkern ihre Live-Stimmung mitzuteilen. Jetzt also in diesem Stadium, in dem wir uns momentan befinden, sei das dunkle Schwarze Loch nahe, überall am Himmel – was für ein Anblick müsste das sein! brach Rözendrödel in strahlende Begeisterung aus: Eine schwarze samtene Schwärze, opak und stumpf! Und das Besondere an diesen Löchern sei eben gerade, dass sie alles bunte Licht aufsaugten, Lichtströme wanderten hinein und kurz bevor man selbst hineinfliegt, verschiebt sich die Zeit gemäß einer komplizierten Formel, die für uns Laien hier nicht in Betracht kommt, er werde sie zur rechten Zeit erklären – seine Dienste trägt er dann gerne an. Und nun in dem nächsten Stadium: Das wird das große Rätsel, das wird die große Stunde aller Wissenschaftler, wird man Neues erforschen können und endlich dem Rätsel der Zeit auf die Schliche kommen, man wird vielleicht an den Anfang aller Zeiten zurückgeschleudert und alles fängt am Ende wieder an wegen einer knallartigen Zeitverschiebung auf der anderen Seite des Schwarzen Loches, wo ein neues Universum schon auf seine Entstehung wartet, »denn«, sagte Rözen-drödel, »Raum und Zeit hängen zusammen. Dort wo Raum verschwindet, wird Zeit unendlich, und vielleicht lebt man jetzt in einem Augenblick ewig, man weiß es nicht, aber Vermutungen tendieren dahin und das subjektive Zeitempfinden wird unter dem ungeheuren Druck, der im Schwarzen Loch herrscht, weil der Raum ja verschwindet, zur objektiven Zeit. Vielleicht nämlich haben wir hier die Wurzel des wissenschaftlich störenden, subjektiven Empfindens des Menschen für die Vergänglichkeit, weil der Druck im gewöhnlichen Universum nicht so groß ist wegen der ungeheuren Leere, die zu viele Freiräume lässt, so dass sich die Wissenschaft insgesamt schwer tut, hier aufzuräumen mit Mystifizierungen und Verschleierungen.« So weit die Zweifel, die zu Wort kommen müssen, aus dem Munde meines Freundes Rözendrödel – kompliziert ausgedrückt und verhexelt, aber doch sehr einfach zu verstehen, denke ich – was denken Sie, verehrte Hörerinnen? Denken Sie darüber nach, es lohnt sich.

Ich selbst bin aber Optimist. Manchmal habe ich so Gefühle, wenn ich vor meine Villa trete auf die Veranda hinaus und den Hang hinabblicke und ins Dorf hinabsehe, ja, da denke ich mir, was ich alles so erreicht habe! Das ist schön. Meine Kinder treten an meine Seite, meine wunderbare Frau steht mir im Leben bei und wir schütteln uns die Hände. Schaut, sage ich, das gehört nun uns, dieser große Garten, der gut finanziert worden ist. Diese exotischsten Ziersträucher weit und breit; so einen großen Zen-Stein-Garten nach dem neuesten Stand des Feng-Hui-Glaubens ausgerichtet, hat nicht einmal der Intendant. Um unseren Bonsai-Wald beneiden uns die bekanntesten Gartenstylisten und sogar ein Präsident hat hier schon nickend seine Bewunderung angedeutet. Als ob ich darauf allerdings Wert legen würde!

Genießt es, Kinder und Frau, denn ich, der das alles erreicht hat, kann es nicht genießen, nein, ich ruhe mich auf meinen Lorbeeren und Pokalen nicht aus, ein solcher bin gerade ich nicht.

Wir setzen uns dann in unsere Autos und machen eine Spritztour durch das Land und jeder drückt aufs Gas. Dann tippe ich die Geheimnummer ins Telefon und sage zu Térle: »Térle, meine Liebe, na! ist es nicht schön in so einer Nacht?«, und Térle gibt eine Antwort zurück, denn sie ist glücklich. So geht das hin und her und wir fahren jeder in seinem Kabrio, rosa die Mädels, blau die Jungs, zu unserem Landsitz und genießen dort den Anblick der Berge unserer schönen Heimat. Durch die getönten Scheiben blickend zieht uns die leere Überholspur magnetisch an und vorwärts. Es ist ein Geschwindigkeitsrausch, wenn die kleinen anderen Wägen alle nach hinten fallen. Solche Fahrten sind abends am schönsten, wenn die Fernsicht erkennbar ist und klarer Himmel auf uns scheint. Dann sitzen wir in unserem Landsitz, schalten zuerst den Toaster ein und es gibt vom Feinsten. Wir nehmen die Stühle, setzen uns auf die Veranda und genießen. Wir brauchen keinen Fernseher! Wenn wir wieder zu Hause sind, gehen Térle und ich an die Hausbar und denken an den schönen Tag, den wir hinter uns gebracht haben, und an vergessene Zeiten.

Ja, das sind Eingebungen, die die Sterne bringen. Wenn einer eine schöne Vergangenheit hat, dann hat er immer etwas, das sage ich und gebe es als Rat weiter: Denkt in Zukunft daran, dass ihr euch eine schöne Vergangenheit vorbereitet.

Jeder hat eine Individualität und kommt auf eigene Gedanken und hinterlässt eigene Fingerabdrücke auf den Karteikarten, Gott sei Dank. Und ich erzähle nur, was mir so in den Sinn kommt.

So, nun mal in die Hände gespuckt und angepackt. Liebe Hörer, es ist Zeit für mich ans Abendessen zu denken. Für heute genug gedacht und geplaudert.

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Wenn die Sterne zusammenrücken || @ Bernhard Karlstetter