Zennn’s Gedankenpausen sind zum Teil einem gleichnamigen Blog entnommen. In einem Blog ist es üblich, das Datum der Veröffentlichung anzugeben. Im Buch ist das beibelassen. Jeder Text meiner Gedankenpausen ist somit auf seinen Zeitpunkt festgelegt; hier hielt das ratlose Denken einmal an, als die Welt weiter raste, bis hin zu dem aussichtslosen Stillstand, in dem sie jetzt steht und wankt, immerzu fünf vor zwölf. Gedankenpausen sind nicht Pausen, die ich mir zum Denken gab, sondern Pausen, in denen ich nicht dachte. Davon gibt das Buch Zeugnis; es ist somit ein Bekenntnisbuch verinnerlichter Leere.
Warum die Angabe eines Datums? Warum? Darum: Um zu zeigen, wie vergangen ist, was vergangen ist; wie weit weg und wie antik und antiquiert man (ich) mit seinen Anschauungen sehr schnell wird – und immer gewesen ist. Und es soll zeigen, wie wenig Vergangenheit mit Gegenwart zu tun hat. Wer das begriffen hat, der weiß, dass, was damals war, mit dem heutigen immerzu aktuellen Geschehen nichts zu tun hat; der weiß auch, dass, was damals recht war, heute nicht mehr recht sein muss. Wir leben in Zeiten von Zäsuren und Brüchen, und Brüchen und Zäsuren, und Brücken und schweren Wolken – und so wie das hier steht, kann es in achtzig Jahren nicht mehr gelesen werden, aus Papiermangel. Das vergangene Jahrhundert kannte viele Brüche und Zäsuren. Der bekannteste Bruch ist der für Reden gebräuchliche »Zivilisationsbruch des Holocaust«. Das Wort stellt bildlich dar, der Bruch sei urplötzlich gekommen, irgendwie von selbst. Es wurde viel daran herumgebogen, am Zivilisationsbegriff; von selbst bricht ein schwacher Ast nicht, jemand legt Hand an und probiert, bis es kracht – auf das Geräusch kommt’s Kinder an.
Eine der letzten Zäsuren, von denen ich gelesen habe, wurde vor etwa zehn Jahren festgestellt:
Kaum einer hat die Zäsur bemerkt, dabei klingt Zäsur sehr nach Einschnitt, Wunde; die ›Öffentlichkeit‹ hat sie nicht wahrgenommen und verspürt: Nazis gab es damals nicht, nicht in meinem Umkreis jedenfalls. Ich kenne keinen; niemand, den ich kenne, kennt jemand, der einer sein könnte, im Entferntesten vielleicht weit hinten am Rand des diesigen Horizonts. Wo es Nazis nicht gibt, gibt es auch keinen … Antisemitismus – die beiden gehen zusammen wie der linke Fuß mit dem rechten; und wo sie nicht auftreten, ist keine Spur zu finden. Antisemitismus andererseits ist eines der christlichen Themen, die viel beredet werden, kaum jemand kennt einen, auch nur entfernt und aus großer Distanz, der einer sein könnte, der so was sagt – was? Und warum? Weil es uns nicht liegt; weil es uns nicht liegt, unseren Boden zu betrachten, auf dem wir hin- und herkutschieren. Selbstbetrachtung? Schon; mit Power-Yoga und einer rutschhemmenden, umweltverträglichen Bodenmatte für die empfindlichen Knochenteile. Antisemitismus ist ein grundsolides und felsenfest christliches Fundament der kulturellen Selbstbescheidenheit und -orientierung. Christliche Weltliebe steht gegen den jüdischen Rachegott und gewinnt jeden Diskriminierungskampf. Wer heute die Bibel, das ›Alte Testament‹, versuchsweise liest, ist entsetzt über Gewalttätigkeit, hebt sie hoch wie Judith den Kopf des Holfernes in Gemälden: Es tropft Blut vor unsere Füße. Wir können Leid in der Antike nicht ertragen. Mancher hält den Ursprung aller Übel in der modernen Welt gar von dem unmissverständlich uninterpretierbare, ohne geschichtliche Aspekte und ohne Veränderung auf uns überkommene Forderung ›Macht euch die Erde untertan‹. Christliche Generationen seither waren unfähig, sich etwas Eigenes zu formulieren? – wenn er so gemeint war, wie wir es heute interpretieren. – Ich las die Ilias und die Odyssee und war angewidert von den Helden und besungenen Heldentaten Odysseus’, Agamemnon, Achill und der anderen Mörder und ›Städtezerstörer‹, von aufgeblähter Selbstüberschätzung, Egoismus, Rachelust, die die einzige Motiv für Handeln zu sein scheinen. Zum Glück haben wir von den alten Griechen nichts. Wir sind wie leergeputzt von jeder psychologischen Tiefe der Antike, ihrer Grausamkeit. Wie würden Romane ohne Homer geschrieben werden, Geschichten ohne die Bibel und anderer Überlieferungen? Ist uns seither etwas Neues eingefallen? Wollen wir zunehmend alles wörtlich nehmen?
Ich trete aus der Literaturgeschichte aus, und denke, wenn die Wurzel schon so schlecht sind, wie sind es dann erst wir?
Darum geht es in diesem Buch nicht. Ob das überhaupt meine Anschauung ist, gerecht, ungerecht, übertrieben sowieso und durch die Decke – eine von den vielen disparaten, divergierenden und disruptiven, die in mir herumkullern, wenn ich den Kopf von einer Seite zur andern bewege – kann ich mit Ungewissheit sagen, denn sie liegt vor der Zäsur, die uns seither nicht mehr weiter bewegt: die Corona-Virus-Zäsur. Es gibt, glaube ich den Medien, nur eine Zeit vorher und eine seither. Glaube ich anderen – es besteht kein Vernunftgrund das zu tun – gibt es das Virus nicht; es sei erfunden worden von den Mächtigen der Welt, um den verwöhnten Ohnmächtigen des Konsumreichs seine Rechte auf alle denkbaren Freiheiten zu vernichten und sie unterwürfig und kopf- und sprachlos zu machen. Einschränkungen können hingenommen werden, wenn es um den Verstand geht.
Die Gräben zwischen Streitenden mögen tiefer werden, die Distanz ist nie größer als Schreiweite, so dass ein modernes Gespräch gut und hörbar geführt werden kann.
Manchem Journalisten gefällt das nicht. Er will keinen Schrei vom Gegenüber mehr hören. Dem Journalismus steht eine Zäsur bevor. Das ewige Für und Wider von Positionen überdenken manche Journalisten zugunsten des FÜR. »Fakten-Checker« berufen sich mitunter nicht aufs Fakten checken, sondern auf jemandem, der ihrer Meinung nach fürs Gute steht und unterzeichnen öffentliche Aufrufe zum de-platforming, damit man nicht mehr hinhören muss und sich das schwere Fakten checken ersparen kann.
Neutralität hat nicht geholfen die Welt zu retten, denn sie lässt den Bösen auch zu Wort kommen. Dem muss entgegengetreten werden. Überholte Ideale werden uns wieder überholen, und wer auf das Gaspedal tritt, wird die Luft verpesten – es sei denn sein geistiges Mobil hat einen Elektro-Antrieb, dann ist es lautlos oder macht künstliche Geräusche.
Dieses Buch enthält Texte aus einer Zeit, in der die Gewissheit erst aufzublühen begann, dass vieles, so vieles rund um uns (nicht in uns) Betrug ist, dass Zorn und Unzufriedenheit uns den Weg aufzeigen werden zu mehr Selbstgerechtigkeit, und dass wir unser Recht auf Selbstbetrug durchsetzen müssen! War waren einmal das Volk. Als wir einer Meinung waren, war auch das nicht gut.
»Nackensteakesser sind das Rückgrat unserer Gesellschaft«, sagte ein Politiker in einem Interview. Mit dem Rücken und dem Rückgrat haben wir es zu tun, wenn wir von uns reden und merken, wir können nicht mit uns reden. Der eine hat eins, der gegenüber keins.
Ich sitze vor diesen polemisch-selbstgefälligen Zeilen, unruhig, mit zusammengepressten Lippen, Füße auf dem Tisch und wundere mich, was meine Finger getippt haben. Ich war es nicht. Ich lese es, um darauf aus Versehen weitere Tippfehler einzufügen (anstatt Denkfehler auszuradieren oder auf sie hinzuweisen) und sage mir: »Was schreibt der da!« Schreibt er womöglich über Meinungsfreiheit und ist selbst nur so frei, sich über Anderer Meinungen sarkastisch zu erheben? Es ist so, weil es so ist.
Die Wahrheit ist verbittert. Ich bin’s nicht. Ich schrieb mir das von der Seele, weil ich auf dem Beichtstuhl sitze und gelernt habe, im Beichtstuhl die Vergebung meiner Sünden erteilt zu bekommen, nach dem Bekennen meiner Sünden durch die auferlegte Buße des Abmurmelns einiger Gebete. Das erhoffe ich sehr.
Manchmal stoße ich auf Texte, die mir die Zunge zerschneiden; manchmal stößt mir was auf, ich frage mich: Was hab ich gegessen? Schon wieder ›Weizenpampe‹? oder Algengrütze?
Zennn’s Gedankenpausen sind meine leeren Gedankenblasen, die zum Denken aufregen sollen. So soll es sein, so hätt’ ich’s gern. Den Ton ein wenig aufdrehen bei der täglichen Meditation über Sprechblasen.
›Streu ich mir jetzt Himalaya-Salz aufs Margarine-Brot, um dort für Arbeitsplätze und Wohlstand zu sorgen? oder lieber heimisches Bergbauern-Salz?‹
24. August 2020
Warum-Darum || @ Bernhard Karlstetter